Der Digitale Zwilling im Maschinenbau
Ein Begriff, der immer häufiger im Zusammenhang mit der Digitalisierung fällt, ist der Digitale Zwilling. In diesem Beitrag wollen wir kurz darauf eingehen, was sich genau dahinter verbirgt und wann der Einsatz eines Digitalen Zwillings auch im Anlagen- und Maschinenbau interessant sein kann.
Was ist ein “Digitaler Zwilling”?
Die Gesellschaft für Informatik definiert den Digitalen Zwilling folgendermaßen:
Digitale Zwillinge sind digitale Repräsentanzen von Dingen aus der realen Welt. Sie beschreiben sowohl physische Objekte als auch nicht-physische Dinge wie zum Beispiel Dienste, indem sie alle relevanten Informationen und Dienste mittels einer einheitlichen Schnittstelle zur Verfügung stellen. Für den digitalen Zwilling ist es dabei unerheblich, ob das Gegenstück in der realen Welt schon existiert oder erst existieren wird.
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Die zentrale Motivation für die Realisierung von digitalen Zwillingen ist es, einen übergreifenden Informationsaustausch zu ermöglichen.
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Ein zentraler Aspekt von digitalen Zwillingen ist daher die Fähigkeit, verschiedene Informationen in einem einheitlichen Format zu repräsentieren. Digitale Zwillinge sind jedoch mehr als reine Daten. Sie beinhalten Algorithmen, die ihr Gegenstück aus der realen Welt akkurat beschreiben.
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An dieser Definition ist schon erkennbar, dass der Digitale Zwilling offensichtlich viel mit Daten zu tun hat und wie der Name schon suggeriert ein digitales Objekt ist. Amazon verwendet den Begriff Digitaler Schatten, der vielleicht noch etwas treffender ist.
Es gibt viele unterschiedliche Ansichten darüber, was ein digitaler Zwilling genau ist bzw. was er nicht ist. Dies liegt an der großen Bandbreite an Themen, die in einem digitalen Zwilling repräsentiert werden können. Angefangen von einer einfachen digitalen Beschreibung über eine zentrale Datenverwaltung bis hin zu einem Simulationsbaustein, der sich wie die reale Maschine verhält.
Sicher haben alle diese Einsatzzwecke ihren Charme und auch ihre Berechtigung, aber es lohnt sich genauer hinzuschauen, um einschätzen zu können welche Möglichkeiten für einen mittelständischen Maschinenbauer Sinn machen. Denn, obwohl der Digitale Zwilling ein Begriff aus der IT ist, benötigt es oftmals nicht unerhebliche Prozessveränderungen im Unternehmen, um diesen Digitalen Zwilling mit erträglichem Aufwand anbieten zu können.
Da der Digitale Zwilling möglichst viele Informationen über die Maschine enthalten soll müssen diese auch entsprechend digital verfügbar gemacht werden.
Ein simples Beispiel: Der Digitale Zwilling im Detail
Wichtige Datensätze einer Maschine sind bspw. Stückliste und E-Plan. In vielen Unternehmen existieren diese aber nicht als „digital verwertbare“ Dokumente und sind insbesondere nicht kohärent, das heißt dieselben Baugruppen haben unterschiedliche Bezeichnungen in Stückliste und E-Plan und sind darüber hinaus nur durch das Wissen der Mitarbeiter verknüpft. Eine weitere Baustelle ist oft die Integration in das entsprechend genutzte ERP System. Diese ist natürlich nicht zwingend nötig, wäre aber für viele Anwendungen wünschenswert. Aus dem ERP System könnte man bspw. Informationen für die entsprechenden Bauteile entnehmen (z.B. bekannte Verschleißmechanismen oder nötige Wartungsintervalle), die dann auch an den Zwilling angehängt werden können.
In diesem Kontext ist der digitale Zwilling eine Art aufbereitetes datenbasierendes digitales Handbuch zu der Maschine. Aber es wird deutlich welche internen Aufwände und Prozessmodifikationen nötig sind, um die Datenbasis für einen solchen digitalen Zwilling als Sekundärprodukt im Entwicklungsprozess zu erzeugen und nicht für jede neue Maschine aufwändig manuell erstellen zu müssen. Ist der Aufwand, zum Beispiel bei Firmen, die sich primär auf kundengetriebene Individualentwicklungen spezialisiert haben, zu groß, dann ist das Thema meistens vollkommen uninteressant.
Der nächste Schritt ist die Verknüpfung des digitalen Zwillings mit Maschinen- und Prozessdaten, das heißt der digitale Zwilling erhält von der Maschine regelmäßig Daten zu ihrem Betrieb und gegebenenfalls auch weitere prozessrelevante Werte.
Hier ist der entscheidende Vorteil, dass der digitale Zwilling üblicherweise in der „Cloud“ oder auf Servern des Maschinenbetreibers oder -bauers liegt und damit in der IT-Welt. Die Maschine hat in den meisten Fällen keinen direkten Zugang zum Internet (und das ist auch gut so), kann aber eingeschränkt zum Beispiel Daten an den digitalen Zwilling senden. Dieser ermöglicht es nun weiteren Services von außerhalb des Maschinennetzes auf diese Daten zugreifen zu können ohne, dass die Maschine und ihre Sicherheit bzw. die Sicherheit des gesamten „OT“ Netzes gefährdet wird.
Weiterhin kann der digitale Zwilling die Daten auch für lange Zeit vorhalten und archivieren. Damit wird er interessant für Anwendungsfälle wie die Verbesserung des (Instandhaltungs- und Wartungs-)Service, da Servicetechniker erst einmal einen guten Anlaufpunkt haben, um das Verhalten der Maschine einschätzen zu können ohne physikalisch vor Ort an die Maschine zu müssen. Im besten Fall kann dann eine solide Ferndiagnose getroffen werden und nötige Anleitungen sowie Ersatzteile an den Kunden versandt werden, was zu einer deutlichen Einsparung im Servicebereich führt.
Ein weiterer Aspekt des digitalen Zwillings kann auch eine visuelle Repräsentation der Maschine im Betrieb sein. Hierfür ist es notwendig die CAD Daten der Anlage so aufzubereiten, dass diese entsprechend verwendet werden können. Idealerweise werden dann die Bauteile mit den entsprechenden Maschinendaten verknüpft, so dass das 3D Model der Maschine sich identisch zu der echten Maschine „bewegt“. Sind die Bauteile auch mit Stückliste und E-Plan verknüpft ergeben sich weitere Möglichkeiten; bspw. können einzelne Bauteile für Wartungseinsätze oder bei Fehlern visualisiert werden und so die Instandhaltung vor Ort unterstützt werden.
Beide Aspekte, sowohl die Aufbereitung der CAD Daten als auch der Maschinendaten müssen so im Entwicklungsprozess implementiert werden, dass wenig oder idealerweise kein weiterer manueller Aufwand nötig ist. Möglich wird derartiges zum Beispiel mittels Standardisierungen in den Maschinenprogrammen oder durch einheitliche Benennung von Variablen. Andernfalls, und das ist häufig bei Brownfield oder Retrofitting das Problem, ist der Aufwand so hoch, dass der Digitale Zwilling wirtschaftlich uninteressant wird.
Der Digitale Zwilling und pragmatic industries
Wir bei pragmatic industries sind als stark datenorientiertes Unternehmen natürlich vor allem an der Spiegelung der Maschinendaten interessiert. Das ist unserer Einschätzung nach auch ein guter Kompromiss für den Start in die Thematik, da hier wenig Aufwand seitens des Maschinenbauers nötig ist und keine tiefgreifenden Prozessänderungen nötig werden. Wie in anderen Bereichen setzen wir auch hier stark auf Open Source und verwenden das Framework Eclipse Ditto, das von Bosch gegründet und auch maßgeblich gepflegt wird. Inzwischen sind wir auch an der Weiterentwicklung des Projektes beteiligt und in regem Austausch mit Bosch und der Community.
Insbesondere für den Einsatz zusammen mit Industriesteuerungen („SPS“) haben wir einen kleinen Demonstrator entwickelt, der nach minimaler Konfiguration in der Lage ist, Maschinendaten an einen digitalen Zwilling zu versenden und dort bereit zu stellen. Dieses Beispiel ist Open Source und hier verfügbar. Aktuell arbeiten wir unter anderem daran ein entsprechendes Backend aufzubauen, um Maschinenbauern und -betreibern einfach und sicher Zugriff auf die Maschinendaten zu geben.
Ein weiteres Thema ist die sichere Kommunikation von der Maschine zum digitalen Zwilling, welchen wir unter anderem mit unserem Partner MB Connect Line intensiv diskutieren.
Mein ganz persönliches Fazit
Digitale Zwillinge bieten unglaublich viele Möglichkeiten, von denen man sich aber nicht überfordern lassen darf! Am besten steigt man Schritt für Schritt in das Thema ein und lässt sich nicht blenden von den multiplen Möglichkeiten, die oftmals nicht unerhebliche Änderungen in den internen Entwicklungsabläufen erfordern. Viele kleine, aber erfolgreiche Schritte in diese Richtung helfen so sukzessive einen Mehrwert für die Kunden zu schaffen und auch interne Kritiker von den Vorteilen der Technologie zu überzeugen den Weg mit zu beschreiten.